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Kolumne

Wofür hast du Zeit?

31.05.2023

Daniel Rehfeld
Daniel Rehfeld

Normalerweise ist Werbung bunt, auffällig und provokativ. Die Botschaft kurz, knapp und knackig. Nach fünf Sekunden muss klar sein, worum es sich dreht, sonst zappt der Konsument weg. Die neue Werbe­kampagne einer grossen Krankenversicherung geht andere Wege. Sie verzichtet auf Klamauk und stellt dafür Lebensfragen in den Fokus. „Wem würdest du Lebenszeit schenken?“ – „Wofür ist es jetzt zu spät?“ oder „Geniesst du die Zeit oder vertreibst du sie dir?“ Die TV-Spots dauern 17 Sekunden und sind weder mit Musik untermalt noch mit Effekten angereichert. „Wir brechen mit dieser totalen Reduktion mit gewohnten Kommunikationsmustern, was eine unglaubliche Kraft entwickelt“, sagt Adrian Merz, dessen Werbeagentur hinter der Kampagne steht, gegenüber persoenlich.com. Und der Auftraggeber ist sich sicher, dass er mit grundlegenden Fragen zur Lebenszeit den Nerv der Gesellschaft trifft und Menschen zum Nachdenken anregt. Begleitet wird die Kampagne von zwölf Kurzinterviews, in denen Menschen über ihr Leben und Schicksal reflektieren. Die Aussage eines Gefängnis-Seelsorgers ist mir dabei besonders hängen geblieben: „Lebenszeit ist keine Strecke, Lebenszeit ist Tiefe.“

Als ehemaliger Bahnbetriebsdisponent habe ich ein besonderes Verhältnis zu Zeit. Die Pünktlichkeit wurde mir förmlich eingeimpft, obwohl sie nicht meinem Wesen entspricht. Trotzdem ist sie hilfreich, zu oft habe ich Menschen dabei beobachtet, wie sie den Zug verpasst haben. Und die Erfahrung selbst schon gemacht, weil ich zu viel in die vorhandene Zeit packen wollte. Ein Phänomen, das unsere Multioptionsgesellschaft geradezu fördert. Eine andere Dimension bekommt die Zeit hingegen, wenn man plötzlich aus dem Alltag heraus­gerissen wird. Wie zwei meiner Freunde, die sich derzeit mit einer schwerwiegenden Diagnose konfrontiert sehen. Plötzlich stellt sich nicht mehr die Frage nach der Produktivität, sondern nach der Qualität. Zeit ist ein kostbares und unwiederbringliches Gut. Ein Geschenk dessen, der uns geschaffen hat, und in dessen Hand unsere Zeit ist, wie der grosse König David bekennt (Ps 31,16). Die Werbekampagne stösst wichtige Fragen zum bewussten Umgang mit der geschenkten Lebenszeit an. Meine Krankenkasse werde ich dennoch nicht wechseln.

Daniel Rehfeld, Chefredaktor

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