Grosse lässt man laufen, Kleine hängt man auf

Manche Menschen haben das Gefühl, dass nicht alle gleichbehandelt werden. Der kleine Mann kann sich bei Schwierigkeiten kaum einen Anwalt leisten. Reiche schon. Politiker konnten während des Lockdowns ohne Folgen Party machen. Der kleine Wirt wurde aber hart gebüsst. Ich zahlte artig meine Busse für die abgelaufene Parkzeit. Der Notfall im Spital war so überfüllt, dass ich nicht rechtzeitig zurückkehren konnte. Gleichzeitig bringt es der frühere Novartis-Chef Vasella fertig, Millionen am Fiskus vorbeizuschleusen. Von Patrick Bozkurt stammt die Aussage: „Gesetze werden für die kleinen Leute gemacht, Gesetzeslücken für die Grossen.“

Und wenn ich an die ganz Grossen denke wie Putin und seinesgleichen, welche ungestraft die scheusslichsten Verbrechen begehen können, erscheint jede Verkehrsbusse ein Hohn. „Die Grossen lässt man laufen, die Kleinen hängt man auf.“ Dabei mahnt uns die Bibel schon (5. Mose 1,17): „Ihr sollt im Gericht nicht die Person ansehen; den Kleinen wie den Grossen sollt ihr hören.“

Ronen Steinke, der deutsche Jurist, deckt in seinem Buch „Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“ systematische Ungerechtigkeiten im Strafsystem auf. Er hat also wissenschaftlich bewiesen, dass etwas dran ist an der Volksweisheit.

Bloss, was mache ich nun mit dieser wenig erbauenden Tatsache? Auch ein Schurke zu werden, macht wohl nicht glücklich. Steuern zu hinterziehen, raubt nur den Schlaf. Nach bestem Gewissen – mit Gottes Hilfe – ehrlich durchs Leben gehen. Schlechtes lassen und Gutes tun. Und nicht neidisch sein auf die sogenannt Grossen. Die Aussage von Thomas Carlyle hat es mir angetan: „Sieh zu, dass du ein ehrlicher Mensch wirst, denn somit sorgst du dafür, dass es einen Schurken weniger auf der Welt gibt.“

Christoph Gysel ist Tourismuspfarrer der Evangelisch-reformierten Kirche des Wallis und Präsident von Saas‑Fee/Saastal Tourismus.